Müssen Geschäfte wegen Corona keine Miete mehr zahlen?

Ein Kommentar von Dr. Volkmar Jesch, Dr. Arnfried Krause /1. April 2020

Der Beitrag geht vor dem Hintergrund der aktuellen Empörung über das Verhalten von Adidas, H & M oder Deichmann der Frage nach, ob auf Grund der Regelung zum Schutz säumiger Mieter (Art. 240 EGBGB § 2) feststeht, dass die Miete tatsächlich weiter geschuldet wird und lediglich fristlose Kündigungen wegen Zahlungsrückständen ausgeschlossen sind. Diese Frage ist alles andere als geklärt.

Pressemeldungen, wonach namhafte Mieter im Einzelhandel keine Miete mehr zahlen, schlagen hohe Wellen in Presse und sozialen Medien. Sogar von Boykottaufrufen war die Rede. Aus der Politik kommt ebenfalls heftige Kritik unter Verweis auf die unlängst beschlossenen vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Die Bundesjustizministerin Christine Lamprecht meint, es gelte:

„Mieter müssen selbstverständlich ihre Miete zahlen. Falls sie tatsächlich infolge der Krise in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten geraten, kann ihnen lediglich für einen begrenzten Zeitraum nicht gekündigt werden.“

Vgl. https://www.tagesspiegel.de/wissen/unanstaendig-und-nicht-akzeptabel-lambrecht-empoert-ueber-stopp-von-mietzahlungen-finanzstarker-firmen/25692404.html

Doch ist die Frage, ob Mieter von zwangsweise geschlossenen Einzelhandelsflächen Mietzahlungen verweigern oder kürzen können, wirklich eindeutig geregelt? Wir haben dazu unsere Zweifel bereits in unserem Beitrag „ZUM GEWERBEMIETVERHÄLTNIS IN ZEITEN DER COVID-19-PANDEMIE“ geäußert. Danach kann auf Basis unterschiedlicher Mietvertragsregelungen und der bisher geltenden Rechtsprechung keine eindeutige Aussage getroffen werden, ob Miete in jedem Fall zu zahlen ist oder eben nicht. Es besteht vielmehr Gesprächsbedarf zwischen den Mietvertragsparteien, um durch (temporäre) Vertragsanpassungen Rechtssicherheit zu erreichen. Das gilt für nicht so finanzstarke Mieter vor allem auch deshalb, weil zwar die Kündigung wegen ausbleibender Mietzahlungen zwischen April und Juni 2020 bis zum 30. Juni 2022 ausgeschlossen (Art. 240 EGBGB § 2 Abs. 4), die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages für die betroffenen Unternehmen jedoch nur bis zum 30. September 2020 ausgesetzt ist (§ 1 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG).

Die Meinungen zur Zulässigkeit von Mietkürzungen gehen unter Juristen aktuell – wie nicht anders zu erwarten war – auseinander. Ein Recht auf Mietkürzung nimmt nunmehr offenbar Galeria Karstadt Kaufhof für sich in Anspruch. Wie die Presse berichtet, ist man dort der Ansicht, dass schlichtweg keine Miete zu zahlen sei, da in Folge der verordneten Schließungen der Gebrauch der Mietsache vorenthalten werde. Andere Unternehmen hatten sich da noch weit defensiver positioniert und klargestellt, dass man mit den Vermietern in Kontakt stehe, die Zahlungen nur vorübergehend ausgesetzt habe, Mieten teilweise auch gezahlt würden bzw. es sich um Stundungen handele. Dass von Schließungen betroffene Mietflächen jetzt gar nicht mehr genutzt würden, ist aber sicherlich schlicht unzutreffend. Denn aktuell fungieren sie faktisch mindestens als gesicherte Lagerflächen für den vorhandenen Warenbestand und die Betriebseinrichtungen bis zu einer Wiedereröffnung. Einer einseitigen Mietkürzung dürften zudem in einer großen Anzahl an Fällen Klauseln in gewerblichen Mietverträgen entgegenstehen, wonach eine Kürzung der Miete nur in unbestrittenen oder gerichtlich festgestellten Fällen zulässig ist. Der Mieter, der derzeit nicht nur wegen Liquiditätsengpässen in der Corona-Krise Mietzahlungen versäumt, sondern dies mit einer Minderung der Miete begründet, würde gegen derartige vertragliche Regelungen verstoßen. Die aktuelle Corona-Gesetzgebung billigt dem Mieter gerade kein Leistungsverweigerungsrecht zu.

Vor dem Hintergrund der Äußerungen der Bundesjustizministerin ist die Frage aufgeworfen worden, ob die vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie nicht gar eine versteckte Verschärfung enthielten, indem sie ungeachtet vertraglicher Regelungen, gesetzlicher Vorschriften (§§ 536, 313 f. BGB) und ihrer Ausprägung durch die Rechtsprechung in jedem Fall die Mietzinszahlung anordnen würden, die neuen vertragsrechtlichen Regelungen also als „lex specialis“ verstanden werden könnten. Der Gesetzgeber hätte hierzu sicherlich eine verbindliche Regelung treffen können. Nur hat er dies auch getan?

Die Regelungen zum Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen gelten ausdrücklich nicht im Zusammenhang mit Miet- und Pachtverträgen (Art. 240 EGBGB § 1). In Art. 240 EGBGB § 2 Abs. 1 findet sich lediglich die Formulierung, dass der Vermieter nicht allein aus dem Grund kündigen kann, dass der Mieter „trotz Fälligkeit“ die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.

Schon sprachlich sagt diese Formulierung nicht, dass die Miete in jedem Fall fällig wird. Nur wenn sie fällig werden sollte und der Mieter nicht zahlt, entfällt derzeit die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters. Letztlich ist der Hinweis auf die Fälligkeit selbstverständlich, denn die Kündigung des Mietvertrages wegen Nichtzahlung der Miete nach 
§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist nur bei Verzug möglich, der wiederum Fälligkeit voraussetzt, 
§ 286 Abs. 1 BGB. Konsequent weist denn die Gesetzesbegründung auch darauf hin, dass neben den Regelungen zur Fälligkeit auch die des Verzugs weiterhin anwendbar sind.

Die Gesetzesbegründung führt nur aus, dass die Verpflichtung der Mieter zur Zahlung der Miete im Gegenzug „im Grundsatz“ bestehen bleibt. Kann dieser Erwägung der unbedingte, aber unausgesprochene Wille des Gesetzgebers entnommen werden, dass die Regelungen über Mietminderung (§ 536 BGB) oder Störung der Geschäftsgrundlage (§§ 313 f. BGB) auf die Folgen der Corona-Krise und die zwangsweise Stilllegung des Einzelhandels nicht anzuwenden sind?

Dies wird im Anschluss an die eingangs zitierte Äußerung der Bundesjustizministerin und weiterer Abgeordneter auf Twitter so vertreten. Stillschweigend seien Ministerium und Bundestag davon ausgegangen, dass ein pandemiebedingtes Leistungsverweigerungsrecht nicht bestehe und vom Gesetzgeber auch nicht geschaffen werden soll. Das Gesetz wolle den Leistungsverkehr so weit wie möglich aufrechterhalten und nur denjenigen helfen, die wirtschaftlich Hilfe benötigen. Dem sei der Wille zu entnehmen, dass die Kündigungsbeschränkung im Mietrecht die einzige Hilfe bleiben soll.

Drygala, Corona und ausbleibende Gewerbemieten – Handelt Adidas juristisch vertretbar? Legal Tribune Online vom 30.03.2020

Dass die Gerichte einem derart unausgesprochenen Willen des Gesetzgebers tatsächlich – wie der Autor des vorstehend zitierten Beitrags meint – zum Durchbruch verhelfen werden, begegnet allerdings erheblichen Bedenken. Die Gesetzesbegründung sprich allein davon, dass die Pflicht zur Mietzinszahlung grundsätzlich bestehen bleibt, so dass es freilich auch Ausnahmen geben muss. Dabei gibt die Gesetzesbegründung eigentlich nur wieder, dass sich an der Verpflichtung zur Mietzinszahlung in Folge der Einführung des Gesetzes nichts ändern soll, sondern nur die Kündigungsmöglichkeit für einen bestimmten Zeitraum eingeschränkt wird. Die Zahlungspflicht besteht danach in dem Umfang fort, wie sie ohne diese Regelung bestehen würde.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Das Gesetz begrenzt seinen Anwendungsbereich selbst, indem es im Hinblick auf seinen Regelungsgegenstand des zeitweiligen Ausschlusses der Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich klarstellt, dass sonstige Kündigungsrechte unberührt bleiben (Artikel 240 EGBGB, § 2 Abs. 1 Satz 3). In der Gesetzesbegründung sind hierzu Beispiele aufgeführt. Der Gesetzgeber hat also Überlegungen zur Abgrenzung der angeordneten Maßnahmen angestellt und diese in den Gesetzestext aufgenommen. Von daher verbietet es sich eigentlich, weitere Auswirkungen auf andere Normen als gesetzgeberisch gewollt zu unterstellen.

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass durch die Gesetzesbegründung belegt wäre, dass Art. 240 EGBGB § 2 Abs. 1 „lex specialis“ zu §§ 536, 313 f. BGB sein sollte, könnte dies in der Gesetzesanwendung folgenlos bleiben. Denn eine solche Vorstellung des Gesetzgebers spiegelt sich nicht im Gesetzestext wider.

Nach übereinstimmender Auffassung von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof ist für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift (allein) der darin zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgeblich. Der BGH (NJW 2012, 2958, Rdnr. 30, m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG und des BGH) führt weiter aus:

„Nicht entscheidend ist demgegenüber die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung (…). Die vorrangig am objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes zu orientierende Auslegung kann nicht durch Motive gebunden werden, die im Gesetzgebungsverfahren dargelegt wurden, im Gesetzeswortlaut aber keinen Ausdruck gefunden haben.“

Es erscheint daher nicht zutreffend und jedenfalls verfrüht, der Vorschrift zum begrenzten Ausschluss der Kündigung in Art. 240 EGBGB § 2 Abs. 1 eine abschließende Wirkung für die Beurteilung der Auswirkungen der angeordneten Schließungen auf die Pflicht zur Mietzinszahlung zu entnehmen. Welcher Anwendungsbereich für § 536 BGB oder §§ 313 f. BGB verbleibt, kann nur der Gesetzgeber selbst klarstellen. Von einer Beschränkung des Rechts zur Kürzung der Miete oder einer Anpassung von Verträgen wegen gestörter Geschäftsgrundlage spricht weder die Justizministerin, noch findet sich auch nur eine Andeutung in der Gesetzesbegründung. Nach Auffassung der Justizministerin sei es nur unanständig und inakzeptabel, wenn Mieter ihre Miete nicht zahlen würden. Allenfalls wenn sie in Zahlungsschwierigkeiten geraten würden, könnte ihnen für einen bestimmten Zeitraum nicht gekündigt werden. Das ist eine politische Äußerung der zuständigen Ministerin, aber keinesfalls mit dem nicht dokumentierten Willen des Gesetzgebers gleichzustellen.

Für Rechtssicherheit in der Krise scheint insoweit nichts gewonnen. Vermieter und Mieter sind weiter gut beraten, einvernehmliche Lösungen zu suchen, um die Folgen der Krise zu bewältigen und vor allen anderen Dingen einen funktionierenden Neustart des Systems ohne insolvenzbedingten Ausfall von zahlreichen Mietern im Einzelhandel vorzubereiten.