Zum Gewerbemietverhältnis in Zeiten der COVID-19-Pandemie
Ein Kommentar von Dr. Volkmar Jesch und Dr. Arnfried Krause /26. März 2020
Einleitung
Aktuell sind im Zuge der COVID-19-Pandemie zahlreiche Gewerberäume geschlossen oder von Schließung bedroht. Rechtsgrundlage sind § 28 ff. des Infektionsschutzgesetzes – IfSG – (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionsschutzkrankheiten beim Menschen). Nach § 32 IfSG sind die Landesregierungen ermächtigt, entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.
Von den zuletzt in allen Bundesländern verschärften sog. „Eindämmungsverordnungen“ sind zahlreiche Gewerberäume u.a. im Bereich des Einzelhandels, der Gastronomie sowie der Sport- und Entertainmentbranche betroffen. Ausgenommen sind Waren- und Dienstleistungsangebote der Grundversorgung, ggf. auch soweit diese in Kaufhäusern, Outlet-Centern, in Einkaufszentren oder Wochenmärkten angeboten werden. Geschäftsräume von Handwerksbetrieben und handwerksähnlichen Betrieben sowie nicht körpernahe Dienstleistungen sind hingegen in der Regel nicht betroffen. Insbesondere Büronutzungen sind damit weiter möglich.
Allerdings entscheiden sich auch Unternehmen und Freiberufler, die von diesen Anordnungen nicht, nur zum Teil oder mittelbar betroffen sind, häufig für eine Schließung oder Begrenzung der Nutzung aus wirtschaftlichen Gründen. Eine Schließung kann darüber hinaus auf seuchenpolizeilicher Anordnung im Einzelfall beruhen, wenn etwa der Ladeninhaber selbst durch Infektion oder Infektionsverdacht betroffen ist.
Vereinzelte Versuche, gegen Anordnungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie gerichtlich vorzugehen, sind – soweit ersichtlich – bisher erfolglos geblieben, da von sehr hohen Ansteckungsgefahren ausgegangen wird (Leitsätze 1 und 2 des VG Stuttgart, Beschluss vom 14.03.2020 – 16 K 1466/20, BeckRS 2020, 3739).
Umso dringender stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die aktuelle Situation für bestehende Gewerberaummietverhältnisse hat. Mietern, die in wirtschaftliche Not geraten, ist nur zu empfehlen, frühzeitig das Gespräch mit dem Vermieter zu suchen, um (temporäre) Vertragsanpassungen zu erreichen. Indes erscheinen den wirtschaftlichen Entscheidungsspielräumen von Vermietern, etwa im Hinblick auf die Bedienung laufender Finanzierungen, Grenzen gesetzt.
Mit Sachstand vom 24. März 2020 liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vor, mit dem die Bundesregierung wirtschaftliche Folgen der Pandemie für das Privat- und Wirtschaftsleben zu mildern sucht.
Bevor darauf näher eingegangen wird, sollen die akuten Probleme im Bereich gewerblicher Mietverhältnisse zunächst auf der Basis der geltenden Rechtslage untersucht werden, um davon ausgehend die anstehende Gesetzesänderung beurteilen und weiteren Handlungsbedarf einschätzen zu können.
1. Fragen der Betriebspflicht
Grundsätzlich gibt es für den Mieter von Gewerberaum keine Gebrauchspflicht. Er kann nach gefestigter Rechtsprechung seine Laden-, Gewerbe- oder Büroräume aus wirtschaftlichen Gründen schließen, auch wenn es dafür keine behördliche Anordnung gibt. An seiner Verpflichtung zur Mietzinszahlung ändert dies nichts, denn § 537 Abs. 1 BGB bestimmt:
„Der Mieter wird von der Entrichtung der Miete nicht dadurch befreit, dass er durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Ausübung seines Gebrauchsrechts gehindert wird. Der Vermieter muss sich jedoch den Wert der ersparten Aufwendungen sowie derjenigen Vorteile anrechnen lassen, die er aus einer anderweitigen Verwertung des Gebrauchs erlangt.“
Miete ist freilich auch zu zahlen – und das sind durchaus häufige Fälle –, wenn eine Betriebspflicht vereinbart ist, was auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt sein kann (zu den Voraussetzungen BGH ZMR 1993, 59; Betriebspflicht ggf. auch konkludent möglich vgl. OLG Düsseldorf ZMR 1994, 408; LG Lübeck NJW-RR 1993, 78; dagegen etwa LG Köln, Urteil vom 05.09.2007 – 9 S 162/07). Dann muss der Mieter sein Geschäft betreiben und selbstredend auch den Mietzins zahlen. Wirtschaftliche Schwierigkeiten entbinden ihn davon nicht (vgl. OLG Celle NJW-RR 2008, 168). Selbst wenn in der Nachbarschaft Läden leer stehen, ändert das grundsätzlich nichts an der Betriebspflicht des Mieters (OLG München ZMR 1995, 295). Eine Reduzierung der Kundenfrequenz oder des Umsatzes, etwa weil die Kunden generell auf Onlineshops ausweichen, berechtigt weder dazu, den Betrieb einzustellen noch die Miete zu reduzieren. Das Risiko des ausbleibenden Publikumsverkehrs trägt danach grundsätzlich der Mieter, dem das Verwendungsrisiko obliegt (Wiederholt in Beck OK § 536 BGB Rdnr. 68 m.w.N.).
Soweit der Erfüllung der Betriebspflicht derzeit seuchenpolizeiliche Anordnungen entgegenstehen, wird der Mieter davon selbstverständlich wegen Unmöglichkeit frei (§ 275 Abs. 1 BGB). Umgekehrt bedeutet dies, dass Ladengeschäfte, die von den Schließungen ausgenommen sind, selbst dann der Betriebspflicht unterliegen, wenn im unmittelbaren Umfeld (z.B. in einer Shopping-Mall oder Outlet-Centern) der Einzelhandel (weitgehend) eingestellt ist und die Frequenz einbricht. Über die Mietzahlungen hinaus müsste dann bei Anwendung der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze ggf. auch ein unrentabler Geschäftsbetrieb unter Vorhaltung entsprechender Mitarbeiter fortgeführt werden.
Ob diese Grundsätze im Lichte weitgehender Kontaktbeschränkungen, die nunmehr für den Aufenthalt und die Bewegung im öffentlichen Raum gelten, noch uneingeschränkt anwendbar bleiben, erscheint fraglich. Zweifel erscheinen angebracht, soweit die Reduzierung von Kundenfrequenz und damit einhergehende Umsatz- und Gewinnrückgange auf die aktuell geforderte soziale Distanzierung zurückgeht. Sollten behördliche Ausgangssperren verhängt werden, würde sich erst recht die Frage stellen, ob die Erfüllung von Betriebspflichten nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verlangt werden kann.
Der Vermieter wird jedenfalls in der derzeitigen Situation regelmäßig nicht in der Lage sein, anderweitige Vorteile im Sinne § 537 Abs. 1 Satz 2 BGB (Zehelein in Beck OK, § 537 BGB Rdnr. 5) zu erzielen, die auf die Miete anzurechnen wären.
2. Mieter ist selbst von COVID-19-Pandemie betroffen
Eine gewisse Entlastung kommt nach dem Infektionsschutzgesetz bei unmittelbarer Betroffenheit des Mieters in Betracht:
Erkrankt ein Selbständiger selbst und unterliegt er deswegen einem Tätigkeitsverbot (§§ 31 und 42 IfSG) oder einer Quarantäne (§ 30 IfSG), kann er auf Antrag eine Entschädigung nach §§ 56 ff. IfSG erhalten. Bei Selbständigen berechnet sich der Verdienstausfall pro Monat nach einem Zwölftel des Arbeitseinkommens basierend auf dem letzten Einkommensteuerbescheid (zu den Einzelheiten in Berlin Merkblatt des Landes Berlin, abrufbar unter https://www.berlin.de/sen/finanzen/presse/nachrichten/artikel.908216.php#headline_1_6 ). Selbständige, deren Betrieb oder Praxis während der Dauer einer solchen Maßnahme ruhen, erhalten neben der Entschädigung auf Antrag von der zuständigen Behörde Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden, nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang.
3. Behördlich angeordnete Betriebsschließungen
Diese Entschädigungsleistungen gelten aber gerade nicht für die aktuell im Rahmen der einschlägigen Eindämmungsverordnungen auf Grund von § 32 IfSG verfügten Betriebsschließungen, Veranstaltungsverbote und Ähnliches (Merkblatt des Landes Berlin, abrufbar unter https://www.berlin.de/sen/finanzen/presse/nachrichten/artikel.908216.php).
4. Pflicht zur Zahlung des Mietzinses
Die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie haben bekanntlich erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Das gilt natürlich erst recht für Mieter von Gewerbeflächen, die auf Grundlage der geltenden Eindämmungsverordnungen zu schließen sind.
Vertragliche Regelungen gehen dabei vor. So dürfte beispielsweise in den nicht seltenen Fällen einer Umsatzmiete daran zu denken sein, Vorauszahlungen (in Absprache mit dem Vermieter) zu reduzieren (vgl. Köhler/Sieber, Mietverträge nehmen wenig Rücksicht auf ein Virus, www.haufe.de).
a. Mangel der Mietsache?
Insofern stellt sich zunächst die Frage, ob betroffene Mieter weiterhin zur Mietzahlung verpflichtet sind. Eine Mietminderung käme nach der gesetzlichen Leitbildung zunächst dann in Betracht, wenn die Mieträume in Folge der staatlich angeordneten Schließung mangelhaft würden (§ 536 BGB).
Ausdrückliche vertragliche Regelungen haben dabei Vorrang vor der allgemeinen Verkehrsanschauung oder einer ergänzenden Vertragsauslegung. Wenn sich beispielsweise aus dem Mietvertrag ergibt, dass der Vermieter das Geschäftsrisiko des Mieters ganz oder teilweise übernommen bzw. er grundsätzlich das in der Störung liegende Risiko einer Betriebsschließung zu tragen hat – was nur im seltensten Fall ausdrücklich vereinbart sein wird – dürfte ein Sachmangel vorliegen. Umgekehrt sind aus der Praxis Gestaltungen bekannt, die Risiken aus dem Bereich der Zulässigkeit der Realisierung des angestrebten Nutzungszwecks dem Mieter zuweisen.
Soweit keine eindeutigen Regelungen getroffen sind, ist davon auszugehen, dass öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen oder Verbote sowie Gebrauchshindernisse zwar als (Sach-)Mangel der Mietsache angesehen werden können, allerdings nur, wenn sie ihre Ursache in der konkreten Beschaffenheit oder der Beziehung der Mietsache zur Umwelt haben (ständige Rechtsprechung, siehe näher Wiederholt in Beck OK, § 537 BGB Rdnr. 46 ff. m.w.N.), nicht jedoch bei persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters.
Die Beschränkungen auf Grundlage der aktuellen Eindämmungsverordnungen haben ihre Ursache jedenfalls nicht in der konkreten Beschaffenheit der betroffenen Gewerberäume, sondern in einer infektionsschutzrechtlichen Gefährdungslage, die unabhängig für ein bestimmtes Gebiet besteht. Sie knüpfen damit an eine bestimmte Art der Nutzung an. Diese wird jedoch vollständig untersagt, ohne dass lediglich innerbetriebliche Verhältnisse geregelt werden.
Die Beziehung der Mietsache zur Umwelt kann durchaus durch öffentlich-rechtliche, insbesondere bauordnungsrechtliche Nutzungsbestimmungen geprägt sein. Änderungen maßgeblicher rechtlicher Bestimmungen, die eine vertraglich vereinbarte und zunächst zulässige Nutzung unmöglich machen, sollen daher ggf. einen Sachmangel begründen können (Schüller in Beck OK § 536 BGB Rdnr. 2 c). Die Abgrenzung zum wirtschaftlichen Betriebsrisiko, das in der Regel ausschließlich beim Mieter liegt, sowie zur Verwirklichung allgemeiner Lebensrisiken erscheint im Fall der COVID-19-Pandemie durchaus problematisch.
Für eine Betriebsbezogenheit spricht zunächst die Anknüpfung der Beschränkungen der Eindämmungsverordnungen an bestimmte Arten von Gewerbebetrieben. In ihrer – freilich zeitlich begrenzten – Untersagungswirkung für ein bestimmtes Gebiet, besteht aber durchaus eine Nähe zu öffentlich-rechtlichen Nutzungsbestimmungen, die über die Regelungen der konkreten Art und Weise einer betrieblichen Nutzung im Sinne von Hygiene- oder Konzessionsvorschriften hinausgehen. So regelt etwa auch die BauNVO abstrakt die Zulässigkeit bestimmter Nutzungen in bestimmten Gebieten.
Eine Grenzziehung erscheint vor dem Hintergrund der äußeren Einflüsse der weltweiten Pandemielage mit erheblichen rechtlichen Beurteilungsrisiken verbunden:
- Im Fall nicht vorhersehbarer äußerer Naturereignisse soll nach Auffassung des Bundesgerichtshofes ein Mangel ausscheiden, weil der Mieter nicht von dem allgemeinen Lebensrisiko zu Lasten des Vermieters befreit werden soll, anderenfalls werde die Garantiehaftung überdehnt (zum Ganzen Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht, § 536 BGB Rdnr. 167 m.w.N.).
- Soweit die Nutzung von Geschäftsräumen nur mittelbar in Folge der allgemeinen Einschränkungen wirtschaftlicher Betätigungen durch die COVID-19-Pandemie betroffen ist, ohne dass eine Schließung aufgrund der Eindämmungsverordnungen angeordnet ist, dürfte mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes ein Sachmangel kaum begründbar sein.
- Die Einführung von Nichtraucherschutzregelungen hat der Bundesgerichtshof klar als Regelung eingeordnet, die an betriebliche Verhältnisse des Pächters anknüpfe und lediglich die Art und Weise seiner Betriebsführung regele (NJW 2011, 3151). Ein Sachmangel wurde vor diesem Hintergrund verneint.
- Für die Verpachtung eines (Tanz-)Lokals, hat allerdings das Reichsgericht (RGZ 87, 277, 279) das Risiko, dass Tanzveranstaltungen während des Krieges hoheitlich verboten wurden, dem Vermieter aufgebürdet, denn die Sache sei zum vereinbarten Zweck nicht mehr brauchbar.
Auch wenn viele Unternehmen und Freiberufler mit ihrem Vermieter die Nutzung der Mieträume zu einem bestimmten Zweck vereinbart haben oder ein solcher Zweck durch Auslegung zu ermitteln ist (auch in dem vom Reichsgericht entschiedenen Fall war im Mietvertrag keine Bestimmung zur Nutzung als Tanzlokal enthalten), bleibt zweifelhaft, was für Schließungen aufgrund der Eindämmungsverordnungen gilt. Im Gegensatz zu den Überschwemmungsfällen beruhen die Schließungen auf allgemein verbindlichen behördlichen Anordnungen. Anders als im Fall der Einführung der Nichtraucherschutzregelungen geht es vorliegend um eine vollständige Nutzungsuntersagung und damit nicht lediglich um die konkrete Art und Weise der zulässigen Betriebsführung. Gleichwohl ist vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Rechtsprechung die Frage zu stellen, wer das Risiko höherer Gewalt (Naturereignis, Krieg oder Pandemie und seine Folgen) zu tragen hat.
Jenseits der denkbaren juristischen Positionen erscheint es aus Sicht der ökonomischen Analyse hochgradig problematisch, die mit der COVID-19-Pandemie verbundenen Risiken einseitig der Mieter- bzw. Vermieterseite zuzuweisen. In rechtlicher Hinsicht würde die Annahme eines Sachmangels zu einer Mietminderung auf Null und damit zu einer gänzlichen Risikozuweisung an den Vermieter führen.
Die Ablehnung eines Sachmangels würde hingegen alle Risiken beim Mieter belassen. Dem will zwar der Gesetzgeber durch Schaffung eines zeitlich befristeten Vertragshilferechts (dazu unten 4.) begegnen. Ob dies ausreichend sein wird, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufangen, wird sich aber erst jeweils im Einzelfall zeigen. In zahlreichen Fällen dürfte dabei kurz- oder mittelfristig akuter Handlungsbedarf für Vertragsanpassungen verbleiben.
b. Fristlose Kündigung des Mieters wegen Entziehung der Mietsache?
Bei behördlichen Verboten kann auch eine fristlose Kündigung des Mieters wegen Entziehung der Mietsache nach § 543 Abs. 1, Abs. 1 Nr. 1 BGB in Betracht kommen. Auch hier würde sich im Ausgangspunkt die zuvor erörterte Frage nach der Einordnung der Schließungen aufgrund der Eindämmungsverordnungen zwischen Betriebsrisiko und allgemeiner öffentlich-rechtlicher Nutzungsversagung stellen. Eine Kündigung wegen nachträglich veränderter Umstände soll allerdings nur in Betracht kommen, wenn der Vermieter auf Grund des Mietvertrags verpflichtet ist, für diejenigen Umstände einzustehen, auf deren Fehlen oder Vorliegen sich die behördliche Maßnahme bezieht (vgl. zu den Einzelheiten Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, § 543 BGB, Rdnr. 19). Dies dürfte bei Vorliegen höherer Gewalt nicht begründbar sein. Im Übrigen sind die Eindämmungsverordnungen zeitlich befristet, so dass der Gebrauch der Mietsache nicht auf Dauer „entzogen“ erscheint.
Vor dem Hintergrund etwaiger Schadenersatzansprüche des Vermieters dürfte dieser Weg für betroffene Mieter hochgradig riskant sein. Auch insoweit führt die ökonomische Analyse dahin zurück, die Vertragsparteien dazu aufzurufen, einvernehmlich individuelle Lösungen zu finden.
c. Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB
Viel diskutiert wird derzeit die Frage, ob eine Anpassung oder sogar Kündigung von gewerblichen Mietverträgen aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage erfolgen kann.
§ 313 BGB sieht hierzu vor:
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.
Generell ist auch insoweit vorab festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung nachträgliche Änderungen vorrangig durch (ergänzende) Vertragsauslegung zu lösen sind, bevor auf die Grundsätze des § 313 BGB zurückgegriffen werden kann, was namentlich auch im Fall nachträglicher Gesetzesänderung gilt (BGH NJW 2018, 2469 Rdnr. 36 m.w.N. zur Rechtsprechung; Lorenz in Beck OK, § 313 BGB, Rdnr. 55).
Ansonsten enthält § 313 Abs. 1 BGB mehrere Tatbestandsmerkmale, die alle kumulativ vorliegen müssen. Insoweit wird die Anwendung dieser Norm, auch in seinen Absätzen 2 und 3, sehr vom Einzelfall abhängen.
Hier können daher nur einige allgemeine Grundsätze festgehalten werden, wobei es naheliegt, vorliegend von der „Großen Geschäftsgrundlage“ zu sprechen. Damit ist die allgemeine Erwartung gemeint, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertragsabschlusses nicht durch Revolution, Krieg, Naturkatastrophen o.ä. ändern, die die „Sozialexistenz“ der Vertragsparteien erschüttert (MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, BGB § 313 Rdnr. 17 f.). Insoweit gilt, dass das Risiko des Eintritts solcher Ereignisse keiner der beiden Parteien zugerechnet werden soll (vergl. Lorenz in Beck OK, § 313 BGB Rdnr. 305 f.). Es wird jedoch bezweifelt, dass über § 313 BGB eine angemessene Lösung solcher Fälle erreicht werden kann. Insoweit sei vielmehr der Gesetzgeber gefragt, der entsprechendes Vertragshilferecht zur Verfügung stellen müsse. Für § 313 BGB soll dann nur noch Raum verbleiben, soweit das Vertragshilferecht den Sachverhalt nicht behandele (MüKoBGB/Finkenauer a.a.O.).
Die Rechtsprechung hat die Folgen zurückliegender Krisen sehr restriktiv beurteilt. Unvorhergesehene negative Auswirkungen auf das Vermögen einer Partei und daraus folgende Leistungshindernisse sollen auch dann nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage führen, wenn sie nicht auf Gründen aus der Sphäre des Schuldners beruhen, sondern Folge allgemeiner Umwälzungen sind (KG Berlin, NJW 2013, 478 unter ausdrücklichem Verweis auf Rechtsprechung des BGH). Das Kammergericht war in Bezug auf die Finanzkrise Jahre 2008/2009 der Auffassung, dass der Umstand, dass unter den veränderten Bedingungen auf den globalen Finanzmärkten (Finanzkrise) eine Bankbürgschaft im Rahmen eines Mietvertrages nicht unter den bisherigen und üblichen Bedingungen zu beschaffen war, nicht zu einer Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtige. Die Bedingungen der Banken für die Beschaffung einer Bankbürgschaft bildeten keine Geschäftsgrundlage des Mietvertrages. Der bloße Umstand der Leistungserschwerung sei nach der vertragstypischen Vorstellung der Parteien grundsätzlich Risiko des Schuldners und vermöge eine Vertragsänderung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage daher nicht zu begründen. Auch führe der Umstand, dass auf Grund der Finanzmarktkrise eine Vielzahl von Schuldnern mit Finanzierungsproblemen konfrontiert sein mögen, nicht zu einer anderen Risikoverteilung. Es bleibe dabei, dass der Schuldner für die Finanzierung und das Fehlen ausreichender Mittel einzustehen hat (KG a.a.O.).
Insoweit ist allerdings festzustellen, dass die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöste Krise schon jetzt größere Dimensionen angenommen hat als die Finanzkrise. Doch die restriktive Rechtsprechung galt sogar in Fällen, in denen es um die Bewältigung von Kriegsfolgen ging. Auch ein unverschuldeter Vermögensverlust durch Enteignung, Vertreibung oder Krieg ließ nach Auffassung des BGH (WM 1962, 625, 626) die Geschäftsgrundlage nicht entfallen. Rüstungskredite mussten noch zurückgezahlt werden, nachdem das Deutsche Reich zusammengebrochen war und Rüstungslieferungen nicht bezahlt hatte (BGHZ 7, 238 = NJW 1952, 1371, 1372). Die folgenden Leitsätze der letztgenannten Entscheidung sind bemerkenswert:
„Die allgemeine Gefahrenlage wirtschaftlicher Unternehmungen in der Kriegszeit ist nicht Geschäftsgrundlage von Einzelverträgen. Aus dem Zusammenbruch und der Zahlungsunfähigkeit des Reiches kann ein Schuldner den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht herleiten; seine bevorzugte Behandlung würde gegen Treu und Glauben verstoßen.“
Allerdings standen wegen der Kriegsfolgen gesetzliche Sonderregelungen (u.a. Lastenausgleich) zur Verfügung.
Anderen Urteilen des BGH, in denen eine hälftige Teilung des Schadens angenommen wurde (vgl. etwa BGH in WM 1978, 322, betreffend die Preisvervielfachung wegen der Ölkrise im Jahr 1973), erteilte das Kammergericht (a.a.O.) eine Absage. Dort sei es um die Vorstellung von der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung gegangen, die in der Finanzkrise nicht betroffen sei (KG a.a.O.).
Ob danach Geschäftsgrundlage eines Mietvertrages sein könnte, dass der Mieter seinen Geschäftsbetrieb ohne jede Unterbrechung durchführen kann, um Waren und Dienstleistungen anzubieten und aus den Erträgen die Miete aufzubringen, erscheint wiederum zweifelhaft. Dagegen dürften die Entscheidungen sprechen, die selbst in Kriegszeiten die Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage abgelehnt haben, ganz offensichtlich in Übereinstimmung mit dem althergebrachten Grundsatz: „Geld hat man zu haben.“
Verortet man dann noch das Risiko der aktuellen Schließungen aufgrund der Eindämmungsverfügungen in der Sphäre des Mieters, müsste ein Rückgriff auf § 313 BGB ausgeschlossen erscheinen. Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in Extremfällen wirtschaftlicher Notlage oder Existenzgefährdung ggf. andere Risikozuweisungsmaßstäbe zur Anwendung gelangen können (so ausdrücklich das Bundesarbeitsgericht zur Frage der Tragung des Betriebsrisikos durch den Arbeitsgeber; BAG AP Nr. 15 zu § 615 – Betriebsrisiko).
Ungeachtet der o.a. einzelnen Voraussetzungen des § 313 BGB, die allesamt vorliegen müssen, dürfte sich auch bei Annahme eines Falls der „Großen Geschäftsgrundlage“ vorliegend jede schematische Lösung verbieten. In jedem Fall ist zu beachten, dass § 313 Abs. 1 BGB von einer „Anpassung“ des Vertrages spricht, die verlangt werden kann. Der BGH hat daher stets betont, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage in der Regel nicht zur Auflösung des Vertragsverhältnisses führt, sondern die Vertragspartner in erster Linie zur Anpassung des Vertrages an die geänderten Verhältnisse verpflichtet (vgl. Stadler a.a.O. m.w.N.). Das sollte auch bei der juristischen Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie beachtet werden (in diesem Sinne bereits Dr. Oliver Elzer, Richter am Kammergericht, in seinem Blogbeitrag vom 20.03.2020 in der beck-community unter dem Titel: „Coronapandemie: Wegfall der Geschäftsgrundlage – beispielsweise in der Gewerberaummiete“).
Nicht nur wegen der Regelungen zum „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ dürfte es sich auf jeden Fall anbieten, das Gespräch zwischen Mieter und Vermieter zu suchen.
5. Gesetzgeberische Maßnahmen
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie
würde bei entsprechender Umsetzung Vertragshilferecht zur Verfügung stellen, das gewerbliche Mieter in folgenden Aspekten entlasten soll:
a. Moratorium (Artikel 240 § 1 EGBGB-E)
In Artikel 240 § 1 Abs. 2 EGBGB wird im Wege eines Moratoriums ein Leistungsverweigerungsrecht für Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Europäischen Kommission vom 6. Mai 2003 vorgesehen. Dies sind Unternehmen, die weniger als 10 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz bzw. eine Jahresbilanz von unter 2 Mio. EUR haben. Mittlere und größere Unternehmen, die diese Kriterien nicht erfüllen, sind nicht begünstigt.
Das Leistungsverweigerungsrecht soll bei glaubhaft zu machender Unmöglichkeit der Leistungserbringung bzw. Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage in Folge der Epidemie bis zum 30. Juni 2020 für wesentliche Dauerschuldverhältnisse gelten, die zur „Eindeckung mit Leistungen“ sowie zur „angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs“ erforderlich sind, wobei die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts für den Gläubiger wiederum nicht unzumutbar sein darf. Dies mag in der betrieblichen Sphäre gewerblicher Mieter für eine Entlastung sorgen. Miet- und Pachtverträge (Entwurf des Artikel 240 § 1 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB) werden jedoch ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Moratoriums ausgenommen.
b. Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (Art. 240 § 2 EGBGB-E)
Nach § 2 Abs. 1 des Entwurfs zu Art. 240 EGBGB ist für Mietverhältnisse (also auch für gewerbliche Mietverhältnisse) stattdessen folgende Regelung vorgesehen:
„Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.“
Das Gesetz soll mit Ablauf des 30. September 2022 außer Kraft treten. In der Begründung des Entwurfs ist hierzu festgehalten:
„Die Regelung der Absätze 1 bis 3 ist nur bis zum 30. Juni 2022 anwendbar. Dies bedeutet, dass wegen Zahlungsrückständen, die vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 eingetreten und bis zum 30. Juni 2022 nicht ausgeglichen sind, nach diesem Tag wieder gekündigt werden kann. Damit haben Mieter und Pächter vom 30. Juni 2020 an über zwei Jahre Zeit, einen zur Kündigung berechtigenden Miet- oder Pachtrückstand auszugleichen.“
Der Gesetzgeber will damit ausschließlich Kündigungsmöglichkeiten einschränken. In die Pflicht zur Mietzahlung soll nicht eingriffen werden. Es wird auch kein besonderes Leistungsverweigerungsrecht statuiert. Dies hat zur Folge, dass Mieter und Pächter ihre Forderungen weiterhin fristgerecht leisten müssen und bei nicht fristgerechter Leistung gegebenenfalls in Verzug geraten, wie der Entwurf ausdrücklich in seiner Begründung festhält. Nicht fristgerecht geleistete Mietzahlungen wären daher mit dem gesetzlichen Verzugszinssatz zu verzinsen.
Der Zusammenhang zwischen der COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist nach dem Entwurf glaubhaft zu machen. Nach der Gesetzesbegründung sind Tatsachen darzulegen, aus denen sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, dass die Nichtleistung auf der COVID-19-Pandemie beruht. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommt neben einer eidesstattlichen Versicherung für gewerbliche Mieter auch der Hinweis in Betracht, dass der Betrieb ihres Unternehmens durch die einschlägigen Eindämmungsverordnungen untersagt oder erheblich eingeschränkt worden ist. Letzteres betrifft derzeit etwa Gaststätten oder Hotels, deren Betrieb zumindest für touristische Zwecke untersagt ist. Der Mieter muss hingegen nicht darlegen, dass er die Leistung nicht erbringen kann oder sie ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebes nicht möglich wäre.
Wegen rückständiger Mietzinszahlungen aus dem maßgeblichen Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020 (bei Verlängerung bis 30. September 2020) wäre jedenfalls ab dem 1. Oktober 2022 wieder eine fristlose Kündigung möglich. Die Zahlungen wären spätestens dann unverzüglich nachzuholen.
Vermieter hätten damit im Zweifel einstweilen hinzunehmen, wenn der Mieter im genannten Zeitraum die Miete nicht zahlt. Eine umgekehrte Zumutbarkeitsprüfung ist nicht vorgesehen. Da die Fälligkeit der Mietzinszahlungen und der Eintritt von Verzug jedoch nicht in Frage gestellt wird, dürften Vermieter sich veranlasst sehen, zur Vermeidung eigener Liquiditätsengpässe auf Mietsicherheiten zuzugreifen, deren Verwertung bei Verzug des Mieters grundsätzlich zum Zwecke der Befriedigung fälliger Forderungen des Vermieters möglich erscheint.
Vermieter könnten dann theoretisch unmittelbar die Auffüllung verbrauchter Sicherheiten verlangen. Dies hat der Gesetzgeber ersichtlich nicht bedacht. Es wäre wohl eine Gesetzeslücke zu füllen, sollten Vermieter wegen fehlender Sicherheiten dann Kündigungen aussprechen. Die Ziele, die mit dem Entwurf verfolgt werden, dürften hier entgegenstehen.
c. COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (Entwurf)
Die vorstehenden Regelungen sind vor dem Hintergrund der ebenfalls angedachten vorläufigen Aussetzung der Pflicht zur Stellung von Insolvenzanträgen nebst Einschränkungen für Gläubigeranträge durch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz zu bewerten (Art. 1 des Entwurfes für ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-10-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht):
Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags soll daher bis zum 30. September 2020 (diese Frist kann durch Rechtsverordnung bis höchstens zum 31. März 2021 verlängert werden) ausgesetzt werden, es sei denn, die Insolvenzreife beruht nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus oder es besteht keine Aussicht auf Beseitigung einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit. Wenn am 31. Dezember 2019 keine Zahlungsunfähigkeit bestand, soll vermutet werden, dass eine Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Damit verbinden will der Gesetzgeber Erleichterungen bei Anfechtungstatbeständen, die den Rahmen dieses Beitrages sprengen würden.
Privilegiert sind damit einstweilen auch in Not geratene Mieter gewerblicher Räume. Diese müssen dann allerdings bis zum 30. September 2020 ihre Zahlungsfähigkeit insgesamt wiederherstellen. Soweit sich eine Überschuldung einstellen sollte, müssten spätestens bis zum 30. September 2020 die Voraussetzungen für eine positive Fortführungsprognose geschaffen werden.
Diese Frist dürfte damit für eine Vielzahl von gewerblichen Mietverhältnissen in den Vordergrund rücken. Soweit die Kündigung von Mietverhältnissen zwar noch bis zum 30. September 2022 wegen Zahlungsrückständen im maßgeblichen Zeitraum nach Art. 240 § 2 EGBGB-E ausgeschlossen sein sollte, bleibt die Fälligkeit von Mietzinsansprüchen einstweilen unberührt. Diese müssten daher in einer Liquiditätsprognose bereits ab dem 30. September 2020 vollumfänglich erfüllbar sein, um Zahlungsunfähigkeit auszuschließen. Dass zahlreiche Betriebe der verschiedensten betroffenen Branchen ohne externe Kapitalzuführung keine Chance haben werden, bis dahin aus eigener Kraft genügend Liquidität aufzubauen, liegt auf der Hand.
Die oben zitierten Motive des Gesetzgebers, wonach „Mieter und Pächter vom 30. Juni 2020 an über zwei Jahre Zeit [hätten], einen zur Kündigung berechtigenden Miet- oder Pachtrückstand auszugleichen“ sind damit für Mieter in Rechtsformen, die der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO (wie u.a. GmbH, UG) unterliegen, vollständig irrelevant. Im Übrigen sind Vermieter nach dem 30. September 2020 auch wieder berechtigt, Gläubigeranträge auf Eröffnung eines Insolvenzantrages gegenüber Mietern jedweder Rechtsform zu stellen.
6. Bewertung
Gewerbliche Mieter, die durch die COVID-19-Pandemie wegen wegbleibender Einnahmen akut in ihrer Zahlungsfähigkeit betroffen sind, sind bis zum 30. September 2020 auf eine Liquiditätszuführung durch Eigen- oder Fremdmittel bzw. aus staatlicher Hilfe angewiesen, wenn Insolvenzreife vermieden werden soll. Gerade die Gewährung staatlicher Hilfen dürfte aber, soweit diese zurückzuführen sind, die Verschuldensquote der betroffenen Unternehmen erhöhen. Es wird sich dann umso dringlicher auf Basis der bestehenden Mietverträge die Frage stellen, ob die Unternehmensfortführung trotz etwaiger Überschuldung gewährleistet ist. Dies betrifft nicht nur die Höhe laufender und ggf. rückständiger Mietzahlungen, sondern auch Fragen etwaiger Restlaufzeiten befristeter Miet- und Pachtverträge. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschäftsbetrieb fest an einen bestimmten Standort gebunden erscheint (so z.B. bei Franchise-Outlets in der Gastronomie oder anderen Branchen).
Der vorstehend skizzierte Spannungsbogen von den Grundlagen des Mietrechts über Fragen der Anpassung von Verträgen wegen Störung der „großen Geschäftsgrundlage“ bis hin zu aktuellen Fragen von Eingriffen in das Zivil- und Insolvenzrecht durch die geplante COVID-19-Gesetzgebung sollte sowohl Mietern als auch Vermietern dringenden Anlass geben, das Gespräch zu suchen. Es mag zweifelhaft sein, welche Rechtsfolgen sich von Gesetz wegen mit der anhaltenden beispiellosen Krise verbinden lassen.
Die Verfasser des vorliegenden Gesetzentwurfes führen zu Art. 240 § 2 EGBGB betreffend den vorläufigen Ausschluss von Kündigungsmöglichkeiten aus (S. 42):
„Es handelt sich um eine den Besonderheiten des Mietverhältnisses ausgewogen Rechnung tragende Sonderregelung, die dem Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses den Vorzug gibt. Dies rechtfertigt es, von einer speziellen Härteklausel abzusehen. In ganz besonders gelagerten Einzelfällen kommt ein Rückgriff auf Treu und Glauben in Betracht.“
Die Probleme, die zahlreiche Mieter bereits zum 30. September 2020 treffen dürften, werden dabei offenkundig übersehen. Vermieter und Mieter werden daher zusammenarbeiten müssen, um Lösungen für eine faire Verteilung von Lasten zu finden.